Breath in – Breath out

„Den Roten oder Weißen?“ Blitzblaue Augen durchbohren mich.
„Weiß“ antworte ich geistesgegenwärtig und gleichzeitig schießt mir der seit mittlerweile 30 Stunden bekannte ‚Was für scheiß first-world-problems‘-Gedanke zum x-ten Mal durch den Kopf. Linda, meine liebe Freundin und mittlerweile auch Nachbarin, gibt die Weinbestellung an den Kellner weiter.

Sie dreht sich wieder zu mir und streckt ihre Hand auffordernd aus: „Zeig mal die Fotos jetzt. Wieviele Tausend sind es?“ Sie grinst mich an, nicht ahnend dass sie damit die Gefühlslawine, der ich seit mindestens einer Stunde versuche auszuweichen, mit Karacho über mich zusammenkrachen lässt.

Rückblende: zwei Tage früher.
Meine Schwester braust mit mir den Chapman Peaks Drive entlang, lacht glücklich und dreht Goldfish, unsere Kapstadt-Musik, auf volle Pulle. Das Dröhnen der Bässe droht den kleinen VW Golf von seinem kurvenreichen Weg abzubringen, aber- typisch südafrikanische Leichtigkeit- natürlich passiert nichts.

Ich betrachte meine Schwester, wie sie so easy-peasy das kleine Auto im Linksverkehr schließlich auf die Tankstelle lenkt, den Tankwart strahlend mit „full full, please“ beauftragt, ihm die südafrikanischen Rand in die Hand drückt und wieder Gas gibt. Wir wollen schließlich noch bei einem kühlen Savanna einen letzten gemeinsamen Sonnenuntergang auf dem Lions Head genießen.

Als wir ankommen, haben sich schon einige Schaulustige versammelt um es uns gleichzutun. Recht schnell werden wir von anderen Menschen angesprochen.
„Auch einfach mal wieder typisch“, denke ich noch, unsicher ob ich mich für die nostalgische – oder amüsierte Gefühlswelle entscheide.
Während wir also dem noch leicht unsere Haut erwärmenden Feuerball zusehen, wie er sich kitschig-romantisch verabschiedet und den Himmel in allen erdenklichen Farben zum Strahlen bringt, ließ ich die letzten zwölf Tage, die ich in Kapstadt verbrachte, in meinem Kopf revue passieren.

In diesem Urlaub habe ich meine Komfort-Zone regelmäßig verlassen. Nicht nur, dass ich den ersten Langstreckenflug hinter mich gebracht habe und einen Kulturschock erlitt; sondern auch dass ich in einem Hostel in einem „Dorm“ untergebracht war, Oropax meine neue große Liebe wurden, ständig neue und extrem (!) kommunikative Menschen um mich herum schwirrten und ich auf diese Weise wundervolle Leute kennenlernte.

Die Leichtigkeit und Zufriedenheit der südafrikanischen Bevölkerung, sowie natürlich die atemberaubende Schönheit der Natur haben mein Herz zum Schmelzen gebracht. Es (oder einfach: ich) öffnete sich von Tag zu Tag mehr und wurde weiter und weicher  Der Blick auf den Tafelberg war mir längst so vetraut wie das aufrichtige „How R U?“, sobald man einen Laden/Restaurant/Stand betrat.

 

Der Aufenthalt hier erinnert mich an meine Kindheit, in der alles einfach geschah, ohne auch nur das Wort „Kontrolle“ zu kennen. Darauf vertrauen, dass die Dinge ihren Lauf nehmen, wie sie nun einmal kommen und währenddessen das Leben in vollen Zügen genießen. Das Leben einatmen. Nicht alles von vorne bis hinten durchplanen, nicht der Reihenfolge „Schule-Studium-Arbeit-Mann-Kind-Haus-Rente“ folgen.
All das möchte ich nicht mehr. Das Leben ist ein Abenteuerspielplatz und wartet darauf, entdeckt zu werden.

 

„Ich stelle Ihnen den Rotwein hier an die Seite, ja?“ unterbricht mich die aufgesetzt fröhliche Stimme der Bedienung in meinen Gedanken.
Für den Bruchteil einer Sekunde denke ich: ‚Wollte ich nicht eigentlich Weißwein?‘ und entschließe mich dann, dass es piepschnurzegal ist- ich bin kein typischer Weintrinker und es gibt weitaus schlimmere Dinge, als sich über die Farbe und den Geschmack eines Weines aufzuregen.

„Jule, und jetzt? Wirst du etwa wie deine Schwester, so eine kleine Weltenbummlerin?“ Lindas blitzblaue Augen durchbohren mich erneut. Längst ist in meinem Inneren der Entschluss gefallen, dass ich irgendwie mehr von der Welt sehen muss/will/kann/möchte. Allerdings löst die Vorstellung, mir nur einmal im Jahr eine größere Reise, sowohl finanziell als auch von der Vefügbarkeit meiner Urlaubstage, erlauben zu können, die nächste Verzweiflung aus. Ich fühle mich wie ein Vogel, der aus dem Käfig gelassen wurde und genießt, wie der Wind sachte sein Gefieder beim Fliegeln streichelt, der Wind ihn immer höher trägt, die Freiheit endlos vor ihm liegend- um dann von einer kalten Faust gepackt zu werden, die einen in zurück in den Käfig steckt und die Tür mit einem lauten RUMS zuknallt.

Hilfe, wie zur Hölle stelle ich das also mit dem Reisen an?? Wie kann ich mein Fernweh befriedigen, ohne gleich alles aufzugeben? Irgendwie will ich ja auch mein Spießer-Leben weiter führen, einfach weil die Gesellschaft/mein Umfeld es auch von mir erwartet.

Drei Jahre lang erschuf ich mir eine Welt, die es mir erlaubte zu träumen- aber nicht zu handeln. Mein Fernweh kompensierte ich mit Dingen, die für kurze Zeit die inneren Löcher stopften. All die Dinge, von denen ich dachte sie zu benötigen um glücklich zu sein, um stillstehen zu können ohne stehen zu bleiben, reichten mir aber nie aus. Innerlich zerbröckelte ich langsam, jedoch unaufhörlich bei dem Gedanken daran, nicht alleine, unabhängig und frei von Allem und Jedem zu sein.

Bis das Fass endlich irgendwann überlief. Es gab einen einzigen Auslöser.
Wie einen Stein, den man ins Wasser schmeißt und zusehen kann, wie die Kreise um ihn herum immer größer werden- genauso schnell fiel bei mir eine einzige, wichtige Entscheidung: mein Stein fiel ins Wasser und auf der Wasseroberfläche wurden die Kreise riesengroß. Es braucht auch gar keinen großen Stein- ein kleiner Stein schlägt ebenso seine Wellen wie ein Kleiner.

Ich wusste genau: wenn ich jetzt nicht meine Chance nutze, mutig bin und einfach meinem Herzen folge, werde ich diese Möglichkeit nie wieder geboten bekommen.

Also machte ich genau das, wovon ich seit meiner Rückkehr aus Südafrika träumte: alles kündigen, was mich bindet und los gehts. Die Welt will erobert werden.

Während ich diese Zeilen grinsend tippe, sitze ich in einem Hostel in Windhoek/Namibia, genieße den Blick auf die entspannten Menschen hier, die sich in der Sonne oder im Schatten sonnen, mit denen ich tolle Gespräche geführt habe und: atme.
Ein und Aus.
Ich atme das Leben.
Ich lebe. Endlich.

 

14 Kommentare

  1. In case you ɑre the type of one tһat is less tһan thriⅼled with the prosρect of ѡorking
    in the same office, day after day, eliminating this form off routine is one of the most essential highlights
    that you could obttain from freеlancing. Whenever
    you hіre yourself օout as a freelancеr, every job assignment that you just tzckle
    might be a new adventure. Not solelү will thhe work surrоundings fluctuate, but addіtionally, you
    wսll have the opportunity to satisfy many extra fascinating people.

    Thiis issue alone is witһokut doubt one of the ffundamental thе reason why
    may paralegals predfer freelancing over committing themselves to at
    leeast one particular wߋrkplace.

    Like

  2. klingt super!!!

    freue mich auf viele viele Fotos und natürlich weitere tolle Geschichten:)

    Wünsche Dir eine eine wundervolle Zeit!

    „life is not measured by the number of breaths we take but by the moments that take our breath away“

    Like

  3. Liebe Jule, ich wünsche dir viel Kraft und Gelassenheit um alle Eindrücke in dir zulassen zu können, es ist wundervoll was du machst! Liebste Grüsse, Vili

    Like

  4. Jules! Nicht nur, dass du wunderschön, klug und mutig bist….nein…du kannst auch noch toll schreiben!!! Danke, dass du uns an deinem Abenteuer teilhaben lässt. Ich drücke, Küsse und herze dich. Deine Mims

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu efraimstochterreist Antwort abbrechen